24.05.09

Höhen und Tiefen

Den zweiten Teil unserer Bergetappe setzen wir auf dem Sichuan-Tibet-Highway fort, welcher die östliche Hauptverbindungsachse nach Lhasa bildet. Die Strasse gilt als eine der weltweit höchsten, rauhesten, gefährlichsten aber auch schönsten Routen. Hier war auch das stärkere Verkehrsaufkommen bald zu spüren. Besonders die alten LKWs, welche das tibetische Hochland mit Ware beliefern, kriechen oder donnern – je nachdem, obs rauf oder runter geht russend und natürlich hupend an uns vorbei. Basti fuhr fast nur noch mit Ohropax um den Lärm ertragen zu können. Auch viele tibetische Motorradcowboys mit langen farbigen Bändern an der Lenkstange und einen Teppich auf dem Sattel begegnen uns auf dem Weg, man hörte schon von weitem die Musik aus ihrem Lautsprechern. Als einer von ihnen mit Kettenriss hilflos am Straßenrand steht, hilft Basti erfolgreich mit unserem Werkzeug aus.
Gleich zu Beginn haben wir das grosse Glück, aus näherer Distanz mehrere Steinadler beobachten zu können. Majestätisch ziehen sie über uns ihre Kreise und lassen sich von der Thermik durch die Lüfte gleiten. Ein wirklich beeindruckender Moment.
Die ersten Tage geht andauernd rauf und runter über die sehr sanften und mit kurzem Gras bewachsenen Hügelzüge, welche in der Abendsonne hell leuchten. Mit dem strahlendblauen Himmel und den vereinzelten schneeweissen Zuckerwatte-Wolken ergibt dies ein sehr malerisches Bild.
Nach unseren bisherigen meist eisigen Nächten im Zelt beschliessen wir in einem kleinen tibetischen Dorf einzukehren. Uns wird eine Schlafstelle auf dem Dachboden angeboten. Diese Nacht werden wir so schnell nicht vergessen: wir hatten es uns gerade auf unseren Isomatten mit Kerzenschein gemütlich gemacht (unsere einzige Licht- und Wärmequelle), als sich fünf angetrunkene Truckerfahrer lautstark zu uns gesellten. Kurz darauf erschien der Hausherr und stellte einen großen Eimer mitten in den Raum - falls jemand nachts pullern musste. Nachdem die Männer ihre Gebetsgesänge beendet und den Schnaps geleert hatten wurde es leider auch nicht leiser. Ein Schnarchszenario welches seinesgleichen sucht, raubte uns Nerven und Schlaf. Ab und zu stand einer auf, pullerte lautstark und miefend in den Eimer, pupste oder rülpste - schrecklich. Kurz vor 3 Uhr ertönte ein tibetischer Klingelton und nach einem lautem Gespräch machte sich die ganze Mannschaft wieder polternd vom Acker. So konnten wir wenigstens ein paar Stunden schlafen, nachdem sie ihre Trucks endlos, wie vor einem Formel-Eins Rennen, im Leerlauf zum Aufwärmen hochtouren ließen. Tja Ruhe ist in China ein wirklich kostbares Gut!
Auch die nächste Nacht sollte abendteuerlich werden, die einzige Übernachtungsmöglichkeit war ein Straßenarbeitercamp. Es hatte bereits den ganzen Tag gehagelt und geregnet und wir waren vollkommen durchgefroren. Zwischendurch stoppten wir, machten Skigymnastik, hopsten armeschwingend über die Straße, um uns ein wenig aufzuwaermen. Am Mittag mussten wir nach einer wirklich eisigen Abfahrt, bei der ich schon ernsthaft Angst um diverse Finger oder Zehen hatte, in einen kleinen Dorfladen einkehren um uns am Ofen vor den Augen des versammelten Dorfes aufzuwärmen. Im Straßenarbeitercamp gesellten sich ein paar chinesische Radfahrer zu uns, die auf dem Weg nach Lhasa waren und wir verbrachten gemeinsam einen gemütlichen Abend vor dem einzigen Ofen. Draußen wütete inzwischen ein heftiger Schneesturm und so versammelten sich immer mehr Menschen in dem kleinen Raum, um sich ein wenig am Herd aufzuwärmen: Kettenrauchende Straßenarbeiter, ihre strickenden Frauen, ein paar Jugendliche, die chinesischen Radfahrer und wir mittendrin... Auch in dieser Nacht trugen wir all unsere Sachen, die wir nun schon seit Tagen aufgrund der Kälte nicht mehr ausgezogen hatten... ich träumte von einer heißen Dusche.
Am nächsten Morgen hatte es in unser Zimmer geschneit und unsere Räder waren von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne zauberte eine herrlich glitzernde Winterlandschaft. Wir fühlten uns wie im Skiurlaub, nur dass wir uns nun per Rad fortbewegten. Es war traumhaft durch die schneebedeckten Berge zu radeln, die frische klare Luft zu atmen und die wärmende Sonne zu spüren. Kurz vor einem Pass, kam uns ein Jeep entgegen, bremste und sogleich sprangen mit Fotoapperaten bewaffnete Chinesen heraus. Wir wurden abgeknipst wie Filmstars, wobei sich immer einer von ihnen an uns lehnte und uns umarmte als seien wir beste Freunde, um ein möglichst schönes Foto zu bekommen. Lachend liessen wir die Fotosession über uns ergehen und nach 2 Minuten verschwanden sie so schnell mit ihrem Jeep wie sie erschienen waren.
Vor uns lag nun noch eine sehr anstrengende Etappe: es sollte knapp 50km bergauf gehen, insgesamt galt es mehr als 1600 Höhenmeter an einem Tag zu überwinden. Und als wär das nicht schon anstrengend genug, kam uns mal wieder ein Militärkonvoi mit mehr als 100 Schwerlastfahrzeugen staubend und hupend in den engen Passkehren entgegen. Dieser Pass wollte kein Ende nehmen, ich schaute ständig auf den Tacho. noch 20km bis zur Spitze, noch 18, noch 17,5... gegen Ende mußte ich alle 500m anhalten, Atmung und Puls normalisieren und die schmerzenden Beinmuskeln lockern. Die Steigungen waren wirklich abartig. Man mag es kaum glauben, aber bereits wenige Meter hinter der Passhöhe (4'508m.ü.M.) waren die Strapazen vergessen: vor uns eröffneten sich die majestätischen, schneebedeckten Gipfel der Bergkette des Gongga Shan-Massivs. Der Anblick war schlichtweg überwältigend. Die Spitze des Gongga Shan (mit 7556m der höchste freistehende Gipfel Chinas) leuchtete in fazinierenden weiß-blau Tönen vor dem strahlendem Himmel. Dafür hatten sich die Anstrengungen gelohnt.
Die Straßen wurden fortan immer schlechter und auf unserer letzten Etappe über einen 4000er Pass mussten wir erstmals rekapitulieren: Die Straße war wie ein ausgetrocknetes Flussbett: riesige spitze Steine, Staub und tiefe Schlaglöcher machten eine Weiterfahrt mit dem Rad unmöglich. Mit Mundschutz und strapazierten Nerven standen wir eingestaubt am Straßenrand und versuchten eine Mitfahrgelegenheit für die nächsten 50km zu organisieren. Nach einer knappen Stunde hielten zwei Mönche in einem kleinen Minibus - ich hätte nie geglaubt, dass man zwei Räder, unser Gepäck und 4 Personen damit befördern kann. Uns erwartete ein sehr anstrengende und holperige Fahrt, wir wurden kräftig durchgeschüttelt und ich fühlte mich wie in einer Waschmaschine im Schleudergang.
In den darauffolgenden Tagen können wir unsere Räder meist ohne großen Kraftaufwand bergabrollen lassen, tauschen Mütze und Handschuhe gegen Basecap und kurze Hosen, passieren die 4000km Marke und erreichen Chengdu, die größte Stadt in Sudwestchina, unser Endziel der Fahrradreise.
Wir freuen uns auf ein paar wohlverdiente Ruhetage bestehend aus gutem Essen, chinesischer Massage, Sightseeing und Shopping bevor es am 28. mit dem Flugzeug weiter nach Peking geht.

8 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

WAHNSINN!

Wenn ich heute nicht mit Euch geskypt hätte und wüsste, wie gut, glücklich und gesund Ihr zwei ausschaut,.. hätte ich mir nach Eurem Reisebericht und einigen Fotos wohl doch etwas Sorgen gemacht.

Eure Bilder sind atemberaubend! Echt ma.

Puh, ich sach Euch,.. ich weiß auch nich.

Kommt ma nach Hause jetzt. Wird Zeit. Habt Euch genug ausgetobt.

Anonym hat gesagt…

Ganz schön aufregend eure reise, selbst für den Leser! ich schließ mich Kikki an...kommt nach heeme!!

hoffentlich sehen wir uns bald, wenn ihr wieder hier seid geht bestimmt besuchsmarathon los!!

Manuel hat gesagt…

Hey Ihr!

Auch ich habe wiedermal Euren atemberaubenden Reisebericht gelesen und musste mich daran erinnern, wie Sebbo, Tobi und ich auf dem "Col de la Bonette" standen und uns den A**** abgefrohren haben! Ihr hattet wenigstens Mütze und Handschuhe... wir hatten nur Badeshorts am Kopf und dreckige Socken an den Händen!
Nun habt Ihr es geschafft, ich freue mich riesig für Euch!
Ich schließe mich da der Kiki an, es wird Zeit, dass Ihr nach Hause kommt!

Noch ne Gute Reise und laßt es Euch die letzten Tage gut gehen! Freue mich Euch wieder heile hier im Prenzlauer Berg begrüßen zu dürfen!

Euer Manuel

P.S. Nun werdet Ihr mir wohl beim Spinning-Kurs "davon fahren" ;-)

P.P.S. für Sebastian: Ich habe ne riesige Plakatleinwand hier in Berlin gesehen, auf der sie für das neue Hooters-Restaurant hier in Berlin werben... :-)

Jeanny hat gesagt…

Colin sagt: Ey Alter wie krass is das denn...
Niklas sagt gar nichts.
Finley hat den Steinadler "Pipsi" getauft.

Naja und ich kann nichts sagen, mir fehlen einfach die Worte. My dear Mr. Singingclub... Ihr solltet ein Buch darüber schreiben. Respekt. Ihr habt da was geleistet, dass ist so unglaublich bewundernswert und auf irgendeine gewisse Art sowas von durchgeknallt. Ich glaube das alles erlebt man so kein zweites Mal im Leben.

Ich ziehe meinen Hut und wünsche Euch alles alles Liebe und noch ein paar schöne Tage.

Jeanny

Tobi hat gesagt…

;-)

Wünsche euch ein paar schöne letzte Tage.

Bis nächste Woche!

Anonym hat gesagt…

CONGRATULATIONS!
Ihr habt´s geschafft. Ihr seid die Helden!
Genießt noch die letzten Tage in Beijing und kommt gut zurück.
Chapeau!

Rika

Anonym hat gesagt…

Mannomann, ich dachte unser Umzug sei anstrengend und abenteuerlich aber gegen Eure Reiseberichte ist das ja alles Kindergeburtstag!
Jetzt ist dann aber auch genug, oder?!Macht mal locker jetzt die letzten Tage, lecker Peking Ente essen und dann ab nach Hause.
Wir sind im neuen Heim, alles istin Rekordzeit ausgepackt und wir sind endlich wieder Stadtmenschen.
Meldet Euch wieder aus Deutschland, gute Flüge und gute Reise.

Michael und Tina

Anonym hat gesagt…

na ihr lieben,

tolle story. echt knaller. na, die geschichte mit den besoffenen truckern. rülpsend, furzend und in den eimern pinkelnd. naja, ich denke mal das basti in der männerrunde auch mal mitgewirkt hat. ist ja karneval nicht anders. bis auf den eimer. hahahahahaha

lg
euer marco